In jedem Dorf steht eine Kirche. In den Städten gibt es je nach ihrer Größe Dutzende oder gar Hunderte von Kirchen. Viele der Bauwerke sind architektonische Hingucker, insbesondere die gotischen Kathedralen, die schmucken Barockkirchen in Süddeutschland oder in Italien. Tausende von Touristen tummeln sich in diesen Kirchen und bestaunen die Vielfalt und Pracht der Ausstattung, und manche erahnen die Mühen, die es gekostet hat, sie unter – wie wir meist denken – primitiven Verhältnissen zu erbauen. Sie, die sie diese Zeilen lesen, werden sich auch bestimmt an Kirchen erinnern, die Sie staunend über die Leistung unserer Vorfahren besichtigt haben. Warum wurden diese Wunderwerke der Technik überhaupt errichtet? Ja, warum hat sich jedes Dorf eine oft zugegebenermaßen bescheidene Kirche zugelegt? Kirche als „Gottes Haus“ – die Schreibweise ist bewusst gewählt. Wo Menschen gesiedelt haben, war es ihnen wichtig, neben ihren Häusern das Haus Gottes zu haben. Der Glaube an den allmächtigen Gott sollte jede und jeden vor dem Bösen bewahren: Brand, Verbrechen, Missernten und Hunger, denn nichts fürchteten die Menschen mehr, als einer unbeständigen (Um-)Welt ausgeliefert zu sein, die sie nicht zu beherrschen vermochten. Der Bau eines Gotteshauses (man beachte die unterschiedlichen Schreibweisen) war Ausdruck dieses Glaubens und eine Anstrengung, die wie auch immer belohnt werden würde. Glaube und Lebensführung bildeten also eine Einheit, deren Sinnbild ein möglichst imposanter Kirchenbau sein sollte. Dass dabei ebenso Eitelkeiten und Konkurrenzdenken unter den Städten eine Rolle spielten, ist nicht von der Hand zu weisen. So sind wir Menschen eben – bis heute! Doch neben dem schönen Schein spielte noch ein tiefgründiger Gedanke mit: Gott als dem Herrn die Ehre zu geben. Bauen war und ist nie Selbstzweck, sondern hat eine Funktion: Wo kann ich meinen Glauben leben? Kirche als behüteter Ort – bis heute, denn dort hat die Staatsgewalt keinerlei Recht. Sodann die Kernfrage: Warum stehen diese unzähligen Bauten meist leer, wenn man von bestimmten Feiertagen wie Weihnachten oder den schon genannten Touristen absieht? Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten – welch eine Verschwendung von Kunst und Raum! Andererseits gefragt: Können wir Kultur und Tradition so einfach abschreiben wie eine alte Fabrik? Können wir nicht! Mal ein ganz profaner Vergleich: Wenn ein Schwimmbad nicht mehr so häufig wie in der Vergangenheit besucht wird, soll es dann einfach geschlossen werden? Ökonomisch betrachtet mag es sinnvoll sein, aber will ich den Menschen den Spaß und den Sport und damit Lebensqualität wegnehmen? Nicht umsonst werden um diese Streitfrage heftige Debatten geführt. Nun gut, nicht alle wol- len schwimmen gehen, aber ist das ein Argument? Gerade in dieser Noch- Pandemiezeit mehren sich die Stimmen einzuhalten, denn wo sollen beispiels- weise junge Menschen Schwimmen lernen? Das Bedürfnis nach dieser Art von Sport einfach abzuwürgen, kann niemand wollen. Zurück zur Kirche als Bauwerk. Soll es verfallen, weil niemand kommt und kein Interesse an dessen Erhaltung besteht? Andersherum wird ein Schuh daraus. Kirchen sind eben nicht nur Bauwerke, sondern Orte der Besinnung und/oder des Glaubens. Kirche als Teil eines Gemeinwesens muss sich besinnen, immer wieder aufs Neue einzuladen, Menschen zu ermutigen, das Haus Gottes als Zuflucht in persönlichen Krisen erleben zu können. Das Bauwerk Kirche als einen Ort zu erleben, in dem ich mich bewusst entspannen (!) kann, in dem ich Hilfe bekommen und erwarten (!) kann. Kirche als Teil des Gemeinwesens muss wieder in das Gemeinwesen eindringen und überall dort präsent sein, wo sich Menschen versammeln, sei es auf der Straße, sei es in Institutionen, und, ja, auch sich einmischen in politische Vorhaben! Kirche zu sein zielt auf das Gewissen und die Alltagsprobleme von Menschen, die der Hilfe bedürfen – und dieses auch denen zu verkünden, die nicht jeden Sonntag die Kirchenbank drücken.

Für die Mitarbeitenden der Kirchengemeinde bedeutet das, sich als solche zu erkennen zu geben und ihre Glaubenshaltung aktiv dort zu vermitteln, wo Gespräche oder Zusammenkünfte dazu Gelegenheit bieten. Dafür einzustehen und sogar zu werben ist ein apostolischer Auftrag. Apostel sind die Botschafter des Glaubens in ganz alltäglichen Situationen, ohne Kanzel und mahnendem Zeigefinger. In Neudeutsch würde ein Werbemanager sagen: eine „Wohlfühlatmosphäre“ schaffen. Kirche als Versammlungsort, als Gemeinde in der (politischen) Gemeinde – ein Wunschtraum? Petrus, der „Menschenfischer“, hat es vorgemacht und Erfolg gehabt zu einer Zeit, die keineswegs „christlich“ genannt werden konnte. Ein Aufruf zum Nachmachen: christliche Menschenliebe dort zeigen, wo es angebracht ist. Ganz normal im Umgang mit unseren Mitmenschen, ohne Trara und Tamtam um die eigene Person Glauben leben und Vertrauen aufbauen. Dann ist die Kirche als Bauwerk keine leere Hülle, sondern ein lebendiges Gebilde. Versuchen wir es mal in der Advents- und Weihnachtszeit:

Kirchenatmosphäre (zum Wohlfühlen!?) genießen und dabei das suchen, was uns innerlich entlasten kann. Einen Versuch ist es wert. Fröhliche Weihnachten!

Manfred Stoppe

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